Eine Million

 

Wir schreiben so oft, dass wir das Schweigen brechen wollen. Wir schreiben so oft, dass wir das Thema enttabuisieren wollen. Wir schreiben darüber. Wir schreiben: Ich glaube dir. Du bist nicht schuld. Du bist nicht allein.

 

 

Denn wir wissen: In Deutschland sind mindestens 1 Million Kinder von sexuellem Missbrauch betroffen. Das entspricht ungefähr ein bis zwei Kindern pro Schulklasse. Dass wiederum bedeutet: Auch du kennst mit Sicherheit mehr als eine Person, die sexuellen Missbrauch erlebt hat. Und auch du kennst mit Sicherheit Täter:innen.

 

 

Als betroffene Person habe ich mich oft allein gefühlt. Es fühlte sich an, als sei meine Geschichte außergewöhnlich. Ich habe oft gedacht: Ich bin die einzige Person in meinem Umfeld, die sexuellen Missbrauch überlebt hat. Ich bin die einzige Person, die gegen ihren eigenen Vater Anzeige erstattet hat. Ich bin die einzige Person, die Sex abbrechen muss und am ganzen Körper zitternd im Bett liegt. Ich bin die einzige Person, die mentale Zusammenbrüche hat. Ich bin die einzige Person, die zur Therapie geht. Ich bin die einzige Person, die schon einen Abschiedsbrief geschrieben hat. Ich bin die einzige Person, die sich innerlich manchmal völlig kaputt und zerbrochen fühlt. Ich bin die einzige Person, die alle Männer in ihrem Umfeld als mögliche Täter sieht.

 

 

Ich habe sehr lange gedacht, dass meine Geschichte außergewöhnlich ist. Mit der Zeit habe ich angefangen, anderen von meinen Erfahrungen zu erzählen. Und immer wieder, wenn ich von meinen Erfahrungen erzähle, sagt die andere Person: Ich bin auch betroffen. Ich bin auch Teil von der einen Million, die von sexuellem Missbrauch betroffen ist.

 

 

Und ganz oft hat die andere Person davor noch kaum jemand von ihren Erfahrungen erzählt.

 

 

Lasst uns das Schweigen brechen. Lasst uns nicht so tun, als wäre immer alles gut. Erzählt von euren Erfahrungen, von euren Zusammenbrüchen, euren Problemen und eurem Kampf um ein gutes Leben. Nur wenn wir weiter darüber reden, können wir etwas ändern. Wenn wir uns zeigen, trauen sich auch andere, sich zu zeigen. Lasst uns diese traurige 1 Million sichtbar machen.

 

 

Und lasst uns zeigen, dass die größte Stärke darin besteht, sich verletzlich zu zeigen und gemeinsam weiterzukämpfen.

 

-AnnaLena-

 

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